Wer gerne auf die Sportwelt blickt, ist an einer Sensation mit Sicherheit nicht vorbeigekommen: Dem Kenianer Eliud Kipchoge ist es als erstem Menschen weltweit gelungen, die magische 2-Stunden-Schallmauer auf einer Marathondistanz (42,195 km) zu durchbrechen. Der 34-Jährige ist am 12. Oktober 2019 in der Wiener Hauptallee mit der sensationellen Zeit von 01:59:50 ins Ziel gelaufen.
Seine Motivation und Leidenschaft sowie seine geistige und körperliche Disziplin begeistern weltweit viele Fans. Was inspiriert, ist sein Motto, das er mit einem Statement nach Überqueren der Ziellinie noch einmal in die Welt gerufen hat:
„I want to tell people no human is limited.“ (Eliud Kipchoge)
Ein sehr starker und bedeutender Satz, der auf den Punkt bringt, dass in jedem Menschen individuelle Potenziale schlummern.
Gerald Hüther, Neurobiologe und Vorstand der Akademie für Potenzialentfaltung, definiert in einem Videostatement Potenziale nicht als Fähigkeiten, die Menschen bereits besitzen, sondern als Möglichkeiten, die in Menschen angelegt sind. Zur Entfaltung von Potenzialen bedarf es günstiger Bedingungen: einer gesellschaftlichen Kultur der Begegnung, Einladung und Ermutigung und der Inspirationen. Die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen, entscheidet, ob sie über sich hinauswachsen können. Dort, wo das gelingt, ist Potenzialentfaltung nicht nur möglich, sondern unvermeidbar. Folglich ist niemand eingeschränkt.
Menschliche Potenzialentfaltung am Arbeitsplatz
Eliud Kipchoges Motto ist auf alle Fälle eines, das beeindruckt – nicht nur, wenn man Sportler:in ist. Denn: Potenziale gibt es in vielen Bereichen des Lebens. Jeder Mensch hat Stärken und Fähigkeiten. Er muss lediglich die Möglichkeit erhalten, diese voll zu entfalten.
Menschen, die ihre Potenziale entfalten und sich auf ihre Stärken konzentrieren können, sind glücklicher. Das ist bewiesen. Der US-Psychologe Martin Seligman begründete Ende der 1990er Jahre eine neue Strömung in der Psychologie: die Positive Psychologie. Das Konzept fokussiert konsequent die Stärken des Menschen und es wird nicht wie bislang versucht, allfällige Schwächen zu kompensieren.
Die Ausrichtung auf diese Wahrnehmung und das Fördern von Stärken stehen seither im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung. Die Erkenntnisse waren so überzeugend, dass sie rasch auch im Management Anwendung fanden.
Kim Cameron gilt als Vordenker dieses Ansatzes in der Mitarbeiterführung. Mit Positive Leadership bereitete er die Erkenntnisse der Positiven Psychologie für die Führungsarbeit in Unternehmen auf.
Hier – bei der Stärkenorientierung – setzen auch wir an. Potenzialentfaltung am Arbeitsplatz bedeutet,
- dass der individuelle Mensch im Mittelpunkt steht und es ihm ermöglicht wird, das eigene Potenzial und damit die eigenen Talente, Fähigkeiten und Stärken zu entfalten.
- dass der individuelle Mensch Grenzen überschreitet, die zu überschreiten er nicht für möglich gehalten hätte. Das betrifft z. B. die Umsetzung eigener Projekte, die vorhandene Fähigkeiten ausschöpfen und wachsen lassen. Getragen von intrinsischer Motivation, dem Glauben an sich und die Beteiligten und überzeugt von der Sinnhaftigkeit können außergewöhnliche Ziele erreicht werden.
- dass der individuelle Mensch über sich hinauswächst und seine Komfortzone verlässt. Erfolge, die außerhalb der Komfortzone und innerhalb der Lernzone erreicht werden, machen besonders glücklich und stolz.
- dass der individuelle Mensch mutig ist, Herausforderungen annimmt und sich zutraut. Mit der Unterstützung des Teams und der Führungskräfte. Außergewöhnliche Leistungen motivieren und tragen zur persönlichen Entwicklung bei.
- dass durch die genannten Punkte ALLE Menschen im Unternehmen, egal in welchem Bereich sie tätig sind und welchen persönlichen Hintergrund sie mitbringen, in ihren individuellen Talenten und Fähigkeiten gefördert werden.
Wie ist Potenzialentfaltung im Unternehmen möglich?
Durch unsere Studien wissen wir, dass es betriebliche Rahmenbedingen braucht, damit Menschen an ihren Arbeitsplätzen ihr volles Potenzial entfalten und ihre Fähigkeiten optimal einbringen und stärken können.
Für die Arbeitswelt kann Eliud Kipchoges Motto ergänzt werden:
„No human is – or should be – limited.“
Niemand ist in seinen Potenzialen begrenzt und soll auch am Arbeitsplatz darin nicht begrenzt werden – begrenzt durch Rahmenbedingungen oder Rahmengeber.
Kipchoge ist aktuell der weltweit schnellste Marathonläufer. Er hat eine Schallmauer durchbrochen, die außerhalb seiner Komfortzone lag und was er nun sagt, ist, dass dieser Moment der schönste seines Lebens war. Er ist überglücklich und bedankt sich bei all jenen, die ihn dabei unterstützt haben: „100 % of me is nothing compared to 1 % of the whole team.“(Eliud Kipchoge)
Er ist dankbar für den Rahmen, der für seine 1:59-Marathon-Challenge geschaffen wurde und letztlich seine größte Leistung – seine größte Potenzialentfaltung – erst ermöglichte. Streckenführung, Datum und Uhrzeit des Rennens wurden gewählt, um dem Läufer perfekte Bedingungen zu bieten. Die weltweit besten Marathonläufer wirkten als Pacemaker (Tempoläufer) mit. Und ein nicht zu unterschätzender Faktor: Viele Unterstützer aus Kipchoges Team waren schon im Vorfeld überzeugt, dass er es schaffen würde und motivierten ihn immer wieder mit positivem Zuspruch.
Genau das sind die Faktoren, die es braucht, damit sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz entfalten können und ihre Stärken voll und ganz einbringen können. Das soll nicht heißen, dass jeder Mitarbeitende Spitzenleistungen oder Rekorde erzielen soll. Diese außergewöhnliche sportliche Leistung veranschaulicht vielmehr, worum es geht: um eine konsequent stärkenorientierte Perspektive auf den individuellen Mitarbeitenden. Die ideale Zusammensetzung von Teams mit ebensolcher Haltung macht Bestleistungen möglich.
Am Arbeitsplatz sorgt eine Vertrauenskultur für den „perfekten Lauf“. Zudem braucht es Unternehmenswerte, die Sinn und Orientierung geben. Weiters werden Führungskräfte benötigt, die durch Wertschätzung und Glaubwürdigkeit ideale Rahmenbedingungen schaffen, die ihre Mitarbeitenden – denken wir an Kipchoges Motto – nicht begrenzen, sondern fördern. Führungskräfte, die selbstreflektiert sind, ihre eigenen Stärken kennen und diese aktiv vorleben. Führungskräfte, die Positive Leadership umsetzen und so ihren Mitarbeitenden ermöglichen, ihre individuellen Potenziale zu entfalten.
Zusammengefasst sind es diese 4 Elemente, die die Potenzialentfaltung der Mitarbeitenden ermöglichen:
- Vertrauenskultur (Respekt, Fairness, Glaubwürdigkeit, Teamgeist, Stolz)
- Unternehmenswerte (Werte, die Sinnfindung ermöglichen)
- Selbstreflexion der Führungskräfte
- Führungskultur (stärkenorientierte Führung, Positive Leadership)
Vertrauenskultur, individuell gelebte Unternehmenswerte, reflektierte Führungskräfte und positive Führungskultur – das ist die Basis dafür, dass Potenzialentfaltung im Unternehmen gelingt.
Warum Potenzialentfaltung am Arbeitsplatz so wichtig ist
Unternehmen sind laufend auf der Suche nach neuen Talenten. Gleichzeitig liegen innerhalb der Betriebe oft Potenziale brach. Viele Menschen gehen täglich zur Arbeit und kommen in dem Bewusstsein nach Hause, wieder einen Tag ihrer Lebenszeit investiert zu haben, ohne dabei ihre Fähigkeiten gut eingebracht zu haben.
Unternehmerisch betrachtet ist das Ressourcenvergeudung. Jeder Arbeitstag jedes/r Mitarbeitenden kostet Geld. Und jeder Tag, an dem nicht das volle Potenzial jedes einzelnen Mitarbeitenden ausgeschöpft wird, bedeutet betriebswirtschaftlichen Schaden. Menschen erhalten ihren Lohn und können im Gegenzug nicht 100 % dessen geben, wozu sie fähig sind.
Menschen, die ihre Potenziale über längere Zeit nicht entfalten können, ziehen individuelle Konsequenzen. Sie verlagern ihre Potenziale nicht nur in die Freizeit, sie halten auch Ausschau nach besseren Arbeitgebern, bei denen sie sie entfalten dürfen. Das kann so weit gehen, dass sie innerlich bereits gekündigt haben und Dienst nach Vorschrift leisten.
Wir finden in vielen Unternehmen Menschen, die sich nicht als vollwertiger Teil des Ganzen fühlen, die frustriert und demotiviert sind. Laut dem Gallup Engagement Index 2018 weisen in Deutschland nur 15 % der Beschäftigten eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber auf. Der Großteil der Mitarbeiter:innen hingegen nimmt entweder eine abwartende bis resignative Haltung ein oder ist auf Selbstausbeutungskurs oder längst auf der Suche nach Alternativen.
In jedem dieser Fälle gehen dem Arbeitgeber wertvolle Potenziale für den Unternehmenserfolg verloren. Viele „Spitzenathleten“ bleiben auf der Strecke und können nicht das leisten, was sie eigentlich können und wollen – was sie glücklich macht und dem Unternehmen zu stärkerer betrieblicher Performance verhilft.
Die positiven Effekte von Potenzialentfaltung sind wissenschaftlich belegt
Vor allem Millennials, aber zunehmend auch Jobsuchende anderer Generationen sind auf der Suche nach Unternehmen, bei denen sie Sinn finden, als Individuum angenommen werden und auf persönlicher Ebene und in ihren individuellen Fähigkeiten wachsen können.
Ein Arbeitgeber, der die Potenzialentfaltung aller Mitarbeiter:innen ermöglicht, bringt nicht nur Talente hervor, sondern steigert auch die wirtschaftliche Performance. Und die Betonung liegt auf ALLE Mitarbeiter:innen, unabhängig davon, wer sie sind (Geschlecht, Alter, Nationalität) und welche Position sie im Unternehmen haben.
Bei der Analyse der 100 Besten Arbeitgeber in den USA von 2017 (Fortune) haben wir den Effekt der stärkeren wirtschaftlichen Performance nachgewiesen.
Je stärker ein Unternehmen in Bezug auf die Kennzahlen Vertrauen, Werte, Führungseffektivität und Innovation performt, desto besser sind auch die wirtschaftlichen Ergebnisse. Insbesondere die Unternehmen im oberen Viertel beeindrucken: Sie weisen das Dreifache des Umsatzwachstums jener Unternehmen auf, die im unteren Viertel angesiedelt sind.
Fazit: Potenzialentfaltung vervielfacht den Erfolg …
… auf menschlicher und betrieblicher Ebene.
Was wir von diesem Sportereignis lernen können, ist nicht, dass wir ständig Rekorden hinterherjagen sollen. Die wesentliche Erkenntnis ist: Es zahlt sich immer aus, auf seine Stärken, Fähigkeiten und Potenziale zu setzen. Werden die Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt, so ist Potenzialentfaltung nicht nur möglich, sondern unaufhaltbar. Das macht nicht nur Menschen in Unternehmen glücklicher, sondern auch Betriebe erfolgreicher – eine Vervielfachung des Erfolgs auf mehreren Ebenen!
Quellen:
Gerald Hüther, Akademie für Potentialentfaltung, Videostatement Potentialentfaltung: https://www.akademiefuerpotentialentfaltung.org/potentialentfaltung/
Gallup Deutschland: Engagement Index 2018. In: https://www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx