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Gehaltstransparenz führt zu engagierteren und loyaleren Mitarbeitenden
Spätestens mit der neuen EU-Direktive zur Gehaltstransparenz müssen alle Unternehmen ab 50 Beschäftigten ihre Mitarbeitenden auf ihr Informationsrecht in punkto Gehalt aufmerksam machen. Aber schon jetzt zeigt sich, Transparenz in der Entlohnung schafft mehr Engagement und Retention. Was die „Goldenen Regeln“ dabei sind, berichtet Vergütungsexpertin Martina Ernst, CEO Gründerin von E&S FairEqualSolutions FlexCo mit ihren Marken SalaryNegotiations und FairEqualPay.
Was bedeutet denn überhaupt Gehaltstransparenz?
Im Allgemeinen geht es um die Offenlegung von Informationen über Gehälter innerhalb eines Unternehmens. Landläufig glaubt man, bei Gehaltstransparenz müsse jede:r die Gehälter aller Kolleg:innen kennen. Relevant ist allerdings nur das Durchschnittsgehalt derer, die die gleiche oder eine gleichwertige Funktion ausüben.
Was sollte eigentlich transparent sein?
· Prozesstransparenz: Die Gehaltsprozesse und Strukturen sind für alle Mitarbeitenden transparent und nachvollziehbar: Jede:r kennt und versteht die Gehaltsprozesse: wann sie stattfinden und wer für welchen Teil des Prozesses verantwortlich ist. Darüber hinaus wissen und verstehen alle im Unternehmen, welche Kriterien bei der Gehaltsfestlegung bzw. Gehaltserhöhung angewandt werden.
· Datentransparenz: Die Mitarbeitenden haben jederzeit Zugang zu ihren Gehaltsdaten, ihrer Gehaltsentwicklung und der Lage im Gehaltsband für ihren Job. Sie wissen, wie das Durchschnittsgehalt gleicher und gleichwertiger Personen im Unternehmen ist und sie kennen die Kriterien für ihre gehaltliche Einstufung.
Transparente Auskunft
Unternehmen ab 150 Mitarbeitende müssen bereits seit 2011 einen Einkommensbericht intern veröffentlichen über die aggregierten Gehaltsdaten vergleichbarer Funktionen.
Mit der neuen EU-Direktive zu Lohntransparenz, die bis Juni 2026 in nationales Recht gegossen wird, fällt nicht nur die Verschwiegenheitspflicht für die Mitarbeitenden, es besteht auch für alle Unternehmen die Notwendigkeit, Mitarbeitende auf ihr Informationsrecht in punkto Gehalt aufmerksam zu machen.
Unternehmen ab 50 Mitarbeitende müssen jederzeit gegenüber Mitarbeitenden auskunftsfähig sein, nach welchen Kriterien das Gehalt zusammengesetzt ist bzw. sich Erhöhungen ergeben und wie hoch das Durchschnittsgehalt gleicher und gleichwertiger Funktionen im Unternehmen ist (um nur einige der wichtigsten Punkte zu nennen).
Wo stehen österreichische Unternehmen, wenn’s um Transparenz geht?
Zwei Tendenzen zeichnen sich ab:
· Start Ups und kleine junge Unternehmen, die komplette Gehaltstransparenz leben und gemeinsam Gehaltsstrukturen festlegen.
· Große internationale Konzerne gehen immer mehr dazu über, dass nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die einzelnen Mitarbeitenden ihre Lage im Gehaltsband für den jeweiligen Job kennen.
· Unternehmen mit über 150 Mitarbeitenden sind in Österreich seit 2011 verpflichtet, einen Einkommensbericht zu erstellen, der allerdings meist nur dann vorhanden ist, wenn es Arbeitnehmer-Vertreterinnen im Unternehmen gibt.
Generell fehlt es noch vielen Unternehmen an nachvollziehbaren und transparenten Gehaltsstrukturen - und vor allem an der Offenheit, sachlich und emotionslos über das heikle Thema Gehalt und Performance zu sprechen. Bei vielen besteht die große Sorge, Offenheit würde zu Kostensteigerungen führen. Sicherlich nicht von der Hand zu weisen, wenn Offenheit nicht einhergeht mit einer entsprechenden Klarheit in den Kriterien für die Job-Architektur und einer guten Führungs-, Performance- und Feedback-Kultur.
Gehaltstransparenz nur lästiges Übel regulatorischer Vorschriften?
Gehaltstransparenz bringt eine NEUE SPRACHE der Klarheit und Nachvollziehbarkeit und hilft dabei, Mitarbeitenden-Gespräche zu versachlichen: es geht nicht um den Selbstwert der Person, besprochen wird lediglich der „Marktwert“ des Jobs und der für das Unternehmen relevante „Mehrwert“, den eine Person für die jeweilige Position bringt.
Generell erhöhen transparente Prozesse im Unternehmen das Vertrauen ins Unternehmen und das Gefühl von Fairness, dass zeigen auch die Forschungsdaten von Great Place To Work. Je fairer sich Mitarbeitende behandelt fühlen, desto engagierter sind sie. Fairness erhöht auch das Engagement, was wiederum zu höherer Retention, niedrigeren Fehlzeiten und höherer Produktivität führt – also klares WIN-WIN für alle. Auch dieser Effekt wird seit Langem von vielen Unternehmenskulturspezialisten wie Great Place To Work nachgewiesen.
Gehaltstransparenz ist für Mitarbeitende und Unternehmen allerdings nur dann eine positive Verstärkung der Unternehmenskultur, wenn die Kriterien für Stellenbesetzung, Beförderung, Nachfolge und die damit verbundene Gehaltsfestlegung transparent, klar und nachvollziehbar sind und wenn es einen gut strukturierten Dialog zwischen People & Culture Verantwortlichen, Führungskräften inkl. Top-Management und Mitarbeitenden gibt. Mangelnde Kommunikationsstrukturen und Verantwortlichkeiten können schnell zu einem Bumerang werden.
Ein paar Praxisbeispiel in der neuen Welt der Gehaltstransparenz
Beispiel eins: Die Mitarbeitende möchte mehr verdienen, obwohl sie das gleiche Gehalt bekommt wie Kolleg:innen vergleichbarer Positionen. Was könnten sachlich gerechtfertigte Gründe sein? Bereits seit längerem übt sie eine erhöhte Verantwortung aus und hat Aufgaben übernommen, die für das Unternehmen relevant sind und eindeutig über die Funktion hinausreichen - d.h. sie erfüllt eventuell schon die Kriterien für einen nächsthöheren Level bzw. für die Lage weiter oben im entsprechenden Gehaltsband und sollte entsprechend eine neue Funktion bekommen bzw. weiter oben im Gehaltsband angesiedelt sein.
Beispiel zwei: eine neue Mitarbeitende wird aufgenommen zu einem höheren Gehalt als die bereits im Unternehmen arbeitenden Mitarbeitenden auf genau dem gleichen Job: Zeit, die Gehälter der bestehenden Mitarbeitenden bei entsprechender Leistung anzupassen.
Beispiel drei: Zwei Mitarbeitende haben die gleiche Tätigkeit aber unterschiedliche Performance. Es ist wichtig, als Führungskraft sachlich und wertfrei über den Performance-Beitrag der einzelnen Personen zu sprechen, um Differenzen im Gesamtgehalt zu erklären: das Grundgehalt mag das gleiche sein, aber der Bonus unterschiedlich, was zu einem differenzierten Gesamtgehalt führt.
Wie kann man Unruhe bei den Mitarbeitenden vermeiden, wenn Gehälter offen gelegt werden und plötzlich Vergleichbarkeit da ist?
Damit Gehaltstransparenz positive Auswirkungen im Unternehmen hat, braucht es:
· Offene Kultur des Miteinanders, in der unter anderem
o die Wertehaltung des Unternehmens sich in der Vergütung widerspiegelt
o Führungskräfte und Mitarbeitenden auf Augenhöhe miteinander kommunizieren
o Feedback kontinuierlich stattfindet – top down und bottom up – beispielsweise mit einer anonymen Mitarbeitendenbefragung
· Klarheit der Prozesse
o Es braucht eine Funktions-Architektur, die die Wertigkeit der Positionen im Unternehmen zueinander regelt – und der Wert der Funktionen muss jährlich überprüft und gegebenenfalls angepasst werden
o Interne und externe Gehaltsbenchmarks werden regelmäßig durchgeführt und gegebenenfalls Gehaltsanpassungen vorgenommen
o Performance-Ziele liegen pro Job fest - mit nachvollziehbaren Kriterien für die Leistungsbeurteilung
· Klarheit der Kommunikation und Einbindung aller Stakeholder
o Die Vergütungsrichtlinien müssen für alle verständlich formuliert sein
o Die Führungskräfte inkl. Top-Management müssen geschult sein, um vorurteilsfrei, sachlich und wertschätzend Gehaltsgespräche zu führen
o Die Mitarbeitenden haben jederzeit Zugang zu den für sie relevanten Gehaltsinfomationen
Führen transparente Gehälter auch zu höheren Personalkosten?
Es gibt drei Gründe, bei denen Lohntransparenz – jedoch kurzfristig – zu erhöhten Personalkosten führen kann:
1) Das Unternehmen muss Gehaltsanpassungen vornehmen, um bestehende Mitarbeitende zu halten, wenn der Marktwert der Position bereits höher ist und vor allem dann, wenn neue Kandidat:innen bereits ein höheres Gehalt für eine gleiche oder gleichwertige Position angeboten bekommen
2) Wenn Unternehmen nicht mehr nur das kollektivvertraglich festgelegte Minimum in der Jobanzeige angeben, sondern realistische Bandbreiten, könnte das kurzfristig zu einem Überbieten der Gehälter durch Mitbewerbende kommen
3) Eine unstrukturierte Einführung von Lohntransparenz ‚über Nacht‘, in der die in der vorigen Frage aufgeführten Begleitmassnahmen fehlen, kann zu Irritationen, Neid und Konflikten - und im schlimmsten Fall zu erhöhten Personalkosten führen, und zu frustrierten Mitarbeitenden
Die Einführung der Lohntransparenz und Entgeltgleichheit ist sicher kein Sprint:
Der Weg ist das Ziel
Gehaltstransparenz schafft eine neue Sprache der Klarheit im Unternehmen. Diese neue Sprache schafft mittelfristig eine neue Kultur des positiven Miteinanders, des Vertrauens und der erlebten Fairness, wenn das Unternehmen bereit ist, die Kommunikation mit und unter den Stakeholdern zu steuern und die Prozesse jährlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Und was hat das Unternehmen davon: positive Effekte im Employer Branding nach innen und außen und engagiertere Mitarbeitende, die verstärkt zum Unternehmenserfolg beitragen. Alles in allem ein Great Place to Work.
Über die Autorin
Aus ihrer Erfahrung als ehemalige Head of People & Culture (Erste Bank Österreich) und Aufsichtsratsvorsitzende Deutschland sowie Geschäftsführerin in CS Europe (Berlitz) weiß Martina Ernst, dass, wenn es um Gehalt geht, es immer auch um die Kultur des Unternehmens geht. Mit ihrer Beratungsfirma E&S FairEqualSolutions FlexCo (und den Marken FairEqualPay und SalaryNegotiations) begleitet sie Unternehmen auf dem Weg zu fairer, gleichwertiger Vergütung im Einklang mit der Unternehmenskultur.
Martina ist eng verbunden mit der WU Executive Academy - als Vorständin im Female Leaders Netzwerk und dem International Advisory Board und als Karriere-Partnerin und Lehrgangsleiterin, wo sie u.a. den Lehrgang People & Culture Management leitet.